Flüchtlingslager in Kigeme – Tausende Kinder flüchten aus der DR Kongo

16.08.2012: Tausende Kinder fliehen in diesen Tagen vor der Gewalt in ihrer Heimat im Osten der DR Kongo.

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Flüchtlingslager in Kigeme – Tausende Kinder flüchten aus der DR Kongo

Tausende Kinder fliehen in diesen Tagen vor der Gewalt in ihrer Heimat im Osten der DR Kongo. Viele von ihnen sind ohne Eltern unterwegs, manche mit ihren Müttern und älteren Geschwistern. Das Ziel vieler Flüchtlinge ist das Lager in Kigeme im benachbarten Ruanda. Dort leben derzeit über 10.000 Flüchtlinge, die meisten von ihnen sind Kinder. Und 5.000 weitere Flüchtlinge werden erwartet. World Vision Mitarbeiter Martin Tindiwensi hat das Lager besucht:

“Es ist etwa 14 Uhr als ich das Lager erreiche. Kigeme ist ein neues Lager, es liegt im Dreiländereck zwischen Burundi, Ruanada und der DR Kongo. Und ich habe das Lager noch gar nicht ganz erreicht, da sehe ich schon Kinder, vielleicht 50, die auf einem einfachen Sportplatz Fußball spielen, mit einem selbstgemachten Fußball aus Bananenschalen und –blättern. Doch bevor ich hier aussteigen, Fragen stellen und fotografieren kann, muss ich erst einmal den Lager-Manager Emanuel Niyibaho um Erlaubnis bitten.

Denn ohne seine Genehmigung kommt niemand in das Lager und Fotos dürfen schon gar nicht gemacht werden – um die Kinder im Lager zu schützen und auch weil die Polizei sonst Ärger macht. Ich bekomme seine Erlaubnis für einige Fotos auch nur, weil sich Emanuel Unterstützung von Spendern für das Lager erhofft.
„Sind diese Kinder, die da Fußball spielen, aus dem Lager? Und sind das schon alle Kinder, die ihr hier habt“, frage ich ihn. Und Emanuel Niyibaho antwortet mit einem Lächeln: „Nein…..wir haben hier tausende Kinder. Die meisten sind innerhalb des Lagers.“

Das Lager erstreckt sich über die Hänge eines steilen Hügels. Fast dreitausend Zelte stehen da und es werden immer mehr. Zur Zeit leben 10,533 Flüchtlinge in 2,817 Familien hier, unter ihnen sind etwa 65 Prozent Kinder. Überraschenderweise scheint die Sicherheitslage gut zu sein. Die Regierung hat 10 Polizisten in das Lager beordert, zwei von ihnen tragen die Uniform der Verkehrspolizei – sie sollen wohl die Kinder vor Unfällen auf der nahe gelegenen Hauptverkehrsstraße schützen.

Im Zentrum des Lagers steht ein schmales Zelt, das als eine Klinik dient. Zwei Krankenschwestern des staatlichen Gesundheitsdienstes versorgen Kranke und Verletzte; etwa 20 Patienten warten heute geduldig auf eine Behandlung. Die meisten von ihnen sind Kinder, die von ihren Müttern hierhergetragen wurden. Mit zwei Müttern kann ich reden, eine erzählt mir, dass ihr Sohn Simon (4) einen schlimmen Husten hat. Die andere Mutter, Justine Ishimwe sagt mir, dass ihre dreijährige Tochter Claudine an Windpocken leidet. Ihr geht es schlecht, sie hat überall am Körper Ausschlag und rote Augen.
„Wir machen uns ständig Sorgen um die Gesundheit unserer Kinder in diesem Lager“, sagt Justine, und dass ihre Kinder hier ständig krank werden.
An sauberem Trinkwasser scheint es nicht zu mangeln, aber die sanitäre Lage ist noch nicht zufriedenstellend. Es gibt nur wenige Latrinen, dürftig mit Zeltplanen geschützt und dicht beieinander.

In der Zwischenzeit rollen wieder einige Busse mit neuen Flüchtlingen aus einem Auffanglager in der Nähe heran. Als sie aussteigen bemerke ich, dass sie kaum Gepäck dabei haben. Nur ein paar Taschen, wohl in aller Eile gepackt. Tausende Kinderaugen starren auf sie – vielleicht sind Verwandte unter den Neuankömmlingen? Auch einige Kinder ohne jede Begleitung steigen aus. Sie wurden durch die kriegerischen Auseinandersetzungen von ihren Eltern getrennt und die Lagerverantwortlichen versuchen jetzt, sie in Gastfamilien im Lager unterzubringen. Die Kinder können im Lager keine Schule besuchen. Die Regierung plant, sie in bereits existierenden Schulen in nahegelegenen Ortschaften einzugliedern, aber das ist erst für das kommende Jahr möglich.

Und die Eltern machen sich auch Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder auf dem zukünftigen Schulweg. Das Lager steht nur 200 Meter vom Hauptmarkt in Kigeme entfernt, eine gefährliche Gegend: „Einige unserer Kinder hier sind Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Sie sind gelangweilt und zugleich verletzbar. Wir machen uns Sorgen, dass sie Opfer sexueller Gewalt werden könnten”, sagt Rafiki Jeanine, eine der Mütter im Lager.

Einige Minuten später schockiert mich ein Trauerzug von jungen Männern, die einen Sarg tragen und denen etwa 100 Frauen folgen. Der Sarg ist ein Kindersarg und so schmucklos wie er ist, muss er hier im Lager angefertigt worden sein. Die Frauen weinen, unter ihnen ist auch die Mutter des Kindes, eines zweijährigen Jungen, wie ich später erfahre.

Die meisten der Flüchtlinge beachten den Trauerzug kaum, sie scheinen ungerührt. Wie kommt das, will ich von Emanuel, dem Lagermanager wissen. „Ich glaube, dass ist die Gewöhnung. Das ist hier schon das zehnte Kind, das in diesem Monat gestorben ist.“ Von den zehn Kindern waren neun nicht einmal fünf Jahre alt, der zehnte war sieben.

Laut Emanuel starben die Kinder an Unterernährung. Fast alle Flüchtlinge waren Viehhalter, ihre Kinder tranken täglich Milch. Die gibt es im Lager nicht und dazu kommt noch der radikale Bruch der Lebensumstände. Das trifft vor allem die unter Fünfjährigen, die sich nicht so schnell umstellen können.
Ich spreche mit einer Mutter namens Claudine Furaha, die etwas abseits mit ihrer dreijährigen Tochter sitzt. Ihre Tochter isst ein kleines Stück Brot. „Das ist alles, was ich für sie besorgen konnte. Meine Tochter verträgt unser tägliches Essen hier nicht, den ungemahlenen Mais und die Bohnen. Da hab ich ihr das Stück Brot hier gekauft, damit sie überhaupt etwas hat.“ Und weiter erklärt Claudine: „Wir sind dem UNHCR sehr dankbar. Wir haben ungemahlenen Mais und Bohnen bekommen, was für uns Erwachsene OK ist. Doch die Kinder kommen damit nicht klar und manche zeigen schon Anzeichen von Unterernährung. Einige, die zu jung für den Mais sind, liegen bereits im Sterben.“
Claudine appelliert an die Hilfsorganisationen, mehr Kindernahrung für die Tausende von Kindern zu liefern, vor allem Sosoma und Soyabrei. World Vision hat reagiert und wird zusammen mit der ruandischen Regierung und anderen Hilfsorganisationen die kongolesischen Flüchtlinge in ruandischen Lagern unterstützen.

World Vision Ruanda hat damit begonnen, dringend benötigte Utensilien, vor allem Hygieneartikel wie Seife und Toilettenpapier, aber auch Decken und Pullover gegen die Kälte zu verteilen. Das Lager liegt im Nyamagabe-District, einer der kältesten Gegenden in Ruanda. In diesen Tagen untersucht ein World-Vision-Team aus Wasser- und Sanitärexperten aber auch Fachleuten für Ernährung, wie den Flüchtlingen in Zusammenarbeit mit der ruandischen Regierung langfristig geholfen und die Ernährung von kleinen Kindern gesichert werden kann.“

Foto: World Vision