Mega-Staudämme – Grüne Energie oder Umweltsünde?

Wasserkraft wird oft als umweltfreundliche und klimaneutrale Energie gehandelt. Doch durch den Bau großer Staudämme werden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, Tier- und Pflanzenarten bedroht und Klima und Umwelt in Mitleidenschaft gezogen.

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Mega-Staudämme – Grüne Energie oder Umweltsünde?

Seit tausenden von Jahren stauen Menschen Flüsse, um Felder zu bewässern oder Mühlräder anzutreiben. Mittlerweile wird jeder zweite Fluss der Erde durch einen Staudamm reguliert. Etwa 50.000 große Staudämme gibt es weltweit. Heute dienen sie in erster Linie der Stromerzeugung. Vom Bau der Staudämme werden sich wirtschaftliche Entwicklung, Jobs und ein höherer Lebensstandard versprochen. (1) In Ländern wie Malawi, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Mosambik, Uganda und Sambia liegt der Anteil der Wasserkraft an der Stromversorgung laut der Internationalen Energie Agentur (IEA) bei 80 Prozent. (4) Der aus den Staudämmen generierte Strom wird häufig als “grün” und klimaneutral bezeichnet. Auf den ersten Blick scheint dies nachvollziehbar, da die Stromerzeugung kein Kohlendioxid ausstößt. Bei genauerer Betrachtung werden jedoch die negativen Auswirkungen offensichtlich: Große Staudämme rund um den Globus zerstören den Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten, vertreiben Menschen aus ihrer Heimat und sind darüber hinaus in der Gesamtbilanz alles andere als klimaneutral. (1) 

“Der schlimmste Eingriff in die Natur” 

Die Organisation River Watch nennt Staudämme “eine der schlimmsten Eingriffe in die Natur” und International Rivers spricht von “verheerenden Folgen” für Umwelt, Natur und Menschen. (1) Durch das Blockieren und Umleiten von Flüssen verändert sich das gesamte Fluss-Ökosystem. Diese Veränderung führt dazu, dass die Biodiversität abnimmt, weil Tier- und Pflanzenarten verdrängt oder gar ausgerottet werden. Durch die Reduzierung der Wasserfließgeschwindigkeit und dadurch, dass sich stehende Gewässer schneller erwärmen, wird das Wachstum von giftigen Algen begünstigt. Die Wasserqualität verschlechtert sich. (2) So sind viele Fischarten bedroht, weil die Bauwerke ihre Wanderwege zu den Laichgebieten blockieren und/oder sie durch die verschlechterte Wasserqualität in dem Gewässer nicht mehr lebensfähig sind. (1)  

“Flüsse sind die Lebensadern unserer Ökosysteme. Staudämme sind für sie der Super-GAU, da sie lebendig fließende Flüsse in stagnierende Stauseen verwandeln.”

Theresa Schiller, WWF-Süßwasserexpertin (3)

Darüber hinaus ist das Ausmaß der Waldvernichtung für den Bau der Mega-Staudämme immens. Straßen werden in bislang unerschlossene Gebiete gebaut und für Stromleitungen werden hunderte Kilometer lange Schneisen geschlagen. Auch am Unterlauf gestauter Flüsse wird die Natur in Mitleidenschaft gezogen. Viele Ökosysteme werden dort durch den jahreszeitlichen Wechsel von Trockenheit und Hochwasser geprägt. Dieser bleibt durch Staudämme aus oder wird geringer. Sedimente, die nach Überschwemmungen abgelagert werden und zur Fruchtbarkeit von Flussebenen beitragen, gehen verloren. In einigen Flüssen erreicht so wenig Wasser das Meer, dass das Delta schrumpft und Meerwasser ins Landesinnere vordringt. Zusätzlich gehen Geologen davon aus, dass Staudämme Erdbeben verursachen. (1) 

Staudämme und die Klimakrise  

Die Produktion von Strom durch Staudämme wird als nachhaltig und “grün” gepriesen, da dabei kein CO2 ausgestoßen wird. Sie sind aber alles andere als klimaneutral. Stauseen stoßen in erheblichem Umfang das klimaschädliche Gas Methan aus, welches entsteht, wenn Pflanzen in die Seen geschwemmt werden und dort verrotten. Insgesamt verursachen Staudämme vier Prozent des Ausstoßes von Klimagasen. Das entspricht in etwa genauso viel CO2 wie dem des Flugverkehrs. (1)  

Während sie einerseits zur Klimakrise beitragen, sind sie gleichzeitig von dieser bedroht. Denn klimabedingte Dürreperioden sowie Starkregen und Überflutungen sorgen für Einbrüche in der Wasserkrafterzeugung. So wurden zum Beispiel in Malawi durch Überschwemmungen nach dem Zyklon Idai im März 2019 zwei große Wasserkraftwerke beschädigt, wodurch die Stromversorgung in Teilen des Landes für mehrere Tage zusammenbrach. Da die sich ändernden klimatischen Bedingungen beim Bau der Staudämme oft nicht berücksichtigt werden, können der Strom und die mit diesem verbundenen Versprechen, häufig nicht eingehalten werden. (4)  

Folgen für die Menschen  

Während die Einwohner*innen in den Metropolen vermeidlich von der billigen Stromerzeugung durch die Staudämme profitieren, haben die Menschen im Gebiet um das Staudammprojekt das Nachsehen. Nach Schätzungen der Organisation World Commission on Dams (WCD) haben 40 bis 80 Millionen Menschen wegen Staudammprojekten ihre Heimat verloren, wurden vertrieben oder umgesiedelt.  Vor allem Indigene, Fischer*innen und Kleinbauer*innen sind betroffen. Sie verlieren nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern oft auch ihre kulturellen Wurzeln. Im Unterlauf der Flüsse werden weitere 500 bis 700 Millionen Menschen in Mittleidenschaft gezogen. Der durch Staudämme gestörte Transport von Sedimenten führt zum Beispiel zu sinkenden landwirtschaftlichen Erträgen. Zudem tragen Staudämme zur Verbreitung von Krankheiten bei, da am Unterlauf Überschwemmungen ausbleiben und so mehr Mückenlarven überleben. Widerstand gegen geplante Staudammprojekte wird durch die Polizei, das Militär und private Sicherheitsdienste teilweise gewaltsam niedergeschlagen. (1) 

Das Beispiel der Wasserkraft zeigt, dass erneuerbare Energien nicht immer gleichzusetzen sind mit umweltfreundlicher und klimaneutraler Energie. So macht Thilo Papacek von der deutschen Nichtregierungsorganisation Gegenströmung, die sich für sozial- und umweltverträgliches Handeln deutscher Akteure im Ausland einsetzt, deutlich, dass eine vermehrte Investition in den Ausbau der Wasserkraft beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern fatal wäre. Ein kompletter Verzicht auf Wasserkraft scheint wenig realistisch. Doch es muss sich die Frage gestellt werden, wo und wie gebaut wird und wie die Wasserkraftwerke in Zukunft betrieben werden sollen. (4)  

Quellen

(1) regenwald.org: Staudämme – Fragen und Antworten

(2) Wild Recreation: Warum Wasserkraftwerke negative Umweltauswirkungen haben (Mai 2019)  

(3) WWF: VerDammte Schutzgebiete (März 2021)  

(4) Deutsche Welle: Klimawandel – Welche Zukunft hat die Wasserkraft? (September 2021)  

Verfasst am 14. Juli 2022