Nigeria: Schutz und Hilfe für Binnenvertriebene

26.01.2018 Unsere Mitgliedsorganisation ADRA Deutschland unterstützt Binnenvertriebene in Nigeria. Nothilfekoordinator René Fechner gibt im Interview einen Einblick in die derzeitige Lage.

Selbstmordanschläge, Entführung, Terror – Fundamentalistische Gruppen sorgen für großes Leid in Nigeria und zwingen Menschen zur Flucht. René Fechner, Nothilfekoordinator unserer Mitgliedsorganisation ADRA Deutschland, spricht im Interview über die Nöte der Betroffenen und wie ADRA sie dabei unterstützt, ihr Leben neu aufzubauen.

Welches Leben führen die Binnenvertriebenen?

Im Nordosten Nigerias befinden sich über 2 Millionen Binnenvertriebene. Größere Städte wie Maiduguri sind von Binnenvertrieben überlaufen, die Mieten sind extrem gestiegen. Vertriebene, die aufs Land fliehen, bauen dort ihre eigenen Hütten. Sie haben sehr wenig Geld, kaum Nahrung, einen schlechten Zugang zu sanitären Anlagen und Hygieneartikeln, Wasser und auch medizinischer Versorgung. Diese Umstände führen bei manchen zu negativen Bewältigungsstrategien.

Welche negativen Strategien sind das?

Manche Erwachsene verzichten auf Mahlzeiten, um sie ihren Kindern zu geben. Andere verkaufen ihren gesamten Viehbestand, um kurzfristig an Geld zu kommen, jedoch verlieren sie damit ihre Lebensgrundlage. Viele Vertriebene sind so hungrig, dass sie sogar Saatgut essen. Junge Frauen unter 18 werden verheiratet, damit die Familien über den Brautpreis an Geld kommen und sie ein Familienmitglied weniger haben, das ernährt werden muss.

Gibt es trotzdem so etwas wie Alltag?

Das Leben geht weiter. Wenn die Vertriebenen länger an einem Ort bleiben, versuchen sie, ihr Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken, so etwas wie Alltag zu schaffen. Beispielsweise werden innerhalb von Vertriebenen-Camps Märkte aufgebaut.

Der Krieg ist nicht omnipräsent. Das heißt, es gibt zwar gewaltsame Konflikte, aber sie finden nicht permanent statt. Die Menschen versuchen, sich mit den Umständen zu arrangieren und einen Weg zu finden, mit dem Konflikt umzugehen.

Wo und wie setzt sich ADRA für die Binnenvertriebenen ein?

Der Konflikt findet im Nordosten des Landes statt. ADRA unterstützt hauptsächlich die Vertriebenen im ländlichen Bereich. ADRA versorgt jedoch nicht nur die Vertriebenen, sondern auch Menschen der Aufnahmegesellschaft mit Bargeld. Über Bedarfsanalysen, die gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft erarbeitet werden, wird dann auf die Nöte der Menschen eingegangen. Der Fokus liegt auf Familien, die andere Menschen aufgenommen haben, auf alleinstehende Frauen mit Kindern, auf Waisenkindern und auf älteren Menschen. Wichtig ist hierbei, Konflikte zu vermeiden. Das Gespräch mit Leuten, die als nicht bedürftig eingestuft werden, ist für ein friedliches Zusammenleben unabdingbar.

Wieso hilft ADRA vor Ort mit der Ausgabe von Bargeld?

Im Nordosten Nigerias funktionieren trotz des Konflikts viele Märkte, sprich, es gibt Güter auf dem Markt. Die Ausgabe von Bargeld, also CASH, hat den Vorteil, dass sich die Betroffenen speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet versorgen können und außerdem dadurch die Märkte am Laufen halten. Die Menschen kaufen sich von dem Geld hauptsächlich Nahrung und Hygieneartikel. Die Höhe des Geldes ist nach den lokalen Standards berechnet und wird einmal im Monat an die Betroffenen ausgezahlt. Es muss gewährleistet sein, dass die Empfänger sich von dem Geld täglich ausreichend ernähren können. Der entsprechende Betrag richtet sich danach, wie viele Mitglieder zu einer Familie gehören.

Unsere Mitgliedsorganisation ADRA Deutschland unterstützt Binnenvertriebene in Nigeria._© ADRA Deutschland

Welche Gefahren birgt die Vergabe von Bargeld für die Empfänger, aber auch für lokalen ADRA-Mitarbeiter?

Für die Begünstigten besteht das Risiko, nach der Bargeldausgabe auf dem Weg nach Hause überfallen und ausgeraubt zu werden. Deshalb ist es bei solchen Verteilungen wichtig, alle beteiligten Akteure miteinzubeziehen und zu sensibilisieren. In diesem Fall sind dies vor allem die Dorfgemeinschaft sowie der Dorfälteste.

Die Mitarbeiter müssen ebenso sensibilisiert werden. Beispielsweise tragen sie stets ein Satellitentelefon mit sich, damit sie regelmäßig Bescheid geben können, wo sie sich gerade befinden und ob es ihnen gut geht. Außerdem erhalten sie Trainings in denen sie mitunter lernen, wie sie sich im Fall einer Entführung verhalten müssen.

Wie wird sich ADRA weiterhin für die Binnenvertriebenen im Nordosten des Landes einsetzen?

Das Wichtigste ist, dass die Betroffenen neue Strategien finden und entwickeln, um ihr Leben neu aufzubauen. Viele der Vertriebenen haben früher in der Landwirtschaft gearbeitet, durch die Flucht haben sie alles verloren. ADRA führt die Menschen zurück in die Landwirtschaft, indem sie dabei unterstützt werden, wieder ein kleines Stück Land zu erhalten. Ein weiterer Schritt ist die Ausgabe von Dünger, Saatgut und Wasserpumpen für die Trockenzeit. So kann das neu erhaltene Land bestellt und durch den Ertrag Einkommen generiert werden.

 

Unsere Mitgliedsorganisation ADRA Deutschland ist zudem in weiteren Ländern und Projekten in Afrika tätig. Im Südsudan wird beispielsweise die Ernährungsunsicherheit von Binnenvertriebenen bekämpft.

 

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Fotos: ADRA Deutschland e.V.

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