Wie Sprache unser Denken formt und als Element der Unterdrückung dient
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Wie Sprache unser Denken formt und als Element der Unterdrückung dient
Afrika ist mit über 2000 gesprochenen Sprachen der Kontinent mit der größten linguistischen Diversität. Doch viele von ihnen werden von immer weniger Menschen gesprochen, teilweise sterben sie sogar ganz aus. Dies hängt auch mit den Nachwirkungen des europäischen Kolonialismus zusammen. (1) Dieser hat zum einen dafür gesorgt, dass afrikanische Sprachen aus der Gesellschaft verdrängt wurden und immer noch werden. Zum anderen sind die in jener Zeit geprägten Begrifflichkeiten bis heute tief in unserer Sprache und Wahrnehmung verankert und ein großer Bestandteil heutiger Ausgrenzung und Rassismus. Doch wie genau hängt das zusammen und was kann dagegen unternommen werden?
Sprache ist Kultur und schafft Identität
Sprache ermöglicht es den Menschen sich zu verständigen. Was darüber hinaus aber noch viel wichtiger ist: Mit ihr werden Gedanken und Emotionen ausgedrückt, bewusst und unbewusst Bilder erzeugt und reproduziert und die spezifische Wahrnehmung unserer Lebenswirklichkeit beeinflusst. Wird in einer Sprache gedacht und interagiert, wird eine Person durch diese auch geprägt. Damit wird Sprache selbst zu einer eigenen Kultur und spiegelt die Identität des Sprechenden wider.
Genauso, wie Sprache uns damit eine Welt eröffnet, kann sie diese aber auch begrenzen und die Zugehörigkeit einer Person zu einer Sprachgruppe begrenzt damit auch ihre Identität und Lebensrealität. (2) (3)
Sprache als Instrument der Abgrenzung und Unterdrückung
Der südafrikanische Anti-Apartheitsaktivist und Linguist Neville Alexander (1936-2012) verglich die Sprache einmal mit der Luft, die wir atmen. Sie ist lebensnotwendig und doch allzu selbstverständlich. So ist uns oft nicht bewusst, wie machtvolle und einflussreich Sprache sein kann. Die europäischen Kolonisator*innen und die Urheber des Apartheidsystems wussten Sprache als Instrument der Manipulation und Durchsetzung eigener Ideologien und Machtstrukturen für sich zu nutzen. So hat die Kolonialzeit sprachlich tiefe Einschnitte hinterlassen, die bis heute wirksam anhalten. (2)
Zunächst verschafften sich Besetzer*innen durch das Erlernen lokaler Verkehrssprachen auf Verwaltungsebene Respekt und indirekte Macht über lokale Hierarchien. War diese Macht einmal erlangt, wurde die Verwendung afrikanischer Sprachen, und damit einhergehend die Kultur und Identität der die Sprachen sprechenden Menschen, so gut es ging unterdrückt. So führten die Kolonisator*innen auf zentraler Ebene ihre jeweils eigene Landessprache ein. Bis heute werden diese in den meisten Ländern Afrikas als offizielle Landessprache sowie in den Schulen und Universitäten genutzt. Dies trägt zum Verlust der sprachlichen Diversität Afrikas bei. (1) (2)
Während im Kolonialismus die Sprachepolitik vor allem als Element von Machtdemonstration und Unterdrückung Verwendung fand, diente sie im Apartheidsystem als Werkzeug totaler Abspaltung. Schwarze Menschen wurden entsprechend ihrer jeweiligen Sprachgruppen in getrennte geografisch definierte Wohngebiete verwiesen, den sog. Homelands an den Stadträndern. Das Ziel war es, mittels Sprachbarrieren die Kommunikation zwischen der schwarzen Bevölkerung zu begrenzen, sie zu spalten und damit Aufstände zu verhindern. (2)
Koloniale Instrumentalisierung der Sprache wirkt bis heute
Diese Unterdrückung und Ausbeutung mussten irgendwie legitimiert werden. Aus dieser Logik heraus entwickelte sich das (biologisch nicht akkurate) Konzept der menschlichen „Rassen“. Unterschiede wurden anhand äußerer Merkmale wie der Hautfarbe als entscheidendes Element der Abgrenzung konstruiert. Schwarzen Menschen wurden körperlichen Charakteristika, Rückständig- und Hilfsbedürftigkeit zugeschrieben und in diesem Narrativ als homogene Gruppe dargestellt. (2)
Die Formung dieses Denkens war in der kolonisierten und der kolonisierenden Gesellschaft bei der Errichtung des Machtverhältnisses essenziell. Doch trotz der formal-politischen Emanzipation der ehemaligen kolonialen Territorien des Kolonialismus haben sich die in der Zeit entwickelten Assoziationsketten bis heute gehalten. So schwingen zum Beispiel bei den Worten “Afrikaner*in” oder der Hautfarbe “schwarz” eine ganze Reihe kolonial-rassistischer Vorstellungen mit. Denn Begriffe und die Bilder, die diese erzeugen, stehen nie für sich allein. Sie sind immer Teil eines gedanklich verknüpften Kontextes, der unsere Wahrnehmung prägt. Sprache beeinflusst so über gesellschaftlich geteilte Stereotype unser Denken und Fühlen und damit auch unser Verhalten, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Es ist dadurch eine konstruierte Wirklichkeit geschaffen worden, durch die Schwarze, Indigene und People of Color systematisch ausgeschlossen worden sind und bis heute werden. (2)
Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Um dem kolonial-rassistischen Erbe in unserer Sprache entgegenzuwirken, müssen wir alle aktiv und aufmerksam unseren eigenen Sprachgebrauch reflektieren und darüber hinaus im privaten, wie im öffentlichen Bereich Diskurse anregen, die diese Denkmuster identifizieren und aufdecken.
Dem Verlust afrikanischer Sprachen muss hingegen mit einer aktiven Förderung dieser entgegengewirkt werden. Ein Beispiel dafür ist die Sankofa Sprachschule in Berlin. Gemeinsam mit einem Team aus afrodiasporischen Leher*innen und Mitarbeitenden bietet Akwasi Badu-Aning, Gründer und Leiter der Schule, 18 afrikanische Sprachen an und fördert damit aktiv das Sprechen afrikanischer Sprachen, vor allem in der Diaspora. (1)
Es ist „sehr wichtig, dass wir als Afrikaner*innen unsere Sprache sprechen können, damit wir unsere kulturelle Identität nicht verlieren – vor allem in der Diaspora“. –
Fatou Cisse Kane, Wolof-Lehrerin an der Sankofa Sprachschule (1)
Einen weiteren wichtigen Schritt zur Förderung afrikanischer Sprachen stellte im Mai dieses Jahres das Hinzufügen von 24 Sprachen aus Subsahara-Afrika, Indien und Südamerika zu Google Translate dar. Damit sind nun 23 afrikanische Sprachen auf der Plattform vertreten. Und auch DuoLingo, das von den 40 angebotenen Sprachen acht unterrepräsentierte Sprachen umfasst, arbeitet daran, Zulu und Xhosa – die von 20 Millionen Menschen vor allem im südlichen Afrika gesprochen werden – noch in diesem Jahr hinzuzufügen. (4)
Quellen
(1) RosaMag: “Wer seine Sprache nicht spricht, verliert ein Stück seiner selbst” (August 2022)
(2) Zeitschrift zum Südlichen Afrika: Von der Freiheit und Unfreiheit der Sprache. (Mai/Juni 2022)
(3) Gesprächswert: Kulturelle Identität durch Sprache (September 2017)
(4) Reuters: Students cheer as online translation tools add more African languages (August 2022)
Verfasst am 23.8.2022