Stellungnahme von GEMEINSAM FÜR AFRIKA zur europäischen Flüchtlingspolitik

08.10.2013: GEMEINSAM FÜR AFRIKA verurteilt europäische Flüchtlingspolitik und fordert Einhaltung der Genfer Konventionen

Vor über sechzig Jahren – 1951 – hat die Weltgemeinschaft aus den furchtbaren Erfahrungen von Mord und menschlicher Entrechtung, Zerstörungen des verheerenden Weltkrieges und damit verbundener millionenfacher Flucht und Vertreibung die Genfer Flüchtlingskonvention beschlossen.

Diese völkerrechtliche Vereinbarung gibt Menschen, die aus Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung flüchten müssen, den Anspruch und das Recht auf Schutz und Asyl.

Über 45 Millionen Menschen sind derzeit nach UN-Statistiken weltweit auf der Flucht. Diese Zahl ist erschreckend und doch spiegelt sie nur einen Teilaspekt eines weit umfassenden – und doch damit verbundenen Prozesses wider, dem der weltweiten Migration.

Auch viele Afrikaner verlassen ihre Heimat. Doch die wenigsten verlassen sie freiwillig. Es sind vielmehr die Zwänge von Armut, Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsdruck, von Klimawandel und Umweltzerstörung, von Diktatur und Bürgerkrieg, die sie in die Flucht treiben. Die allermeisten von ihnen finden Zuflucht in ihren Nachbarländern. Es sind die armen und ärmsten Länder, die die Hauptlast der Wanderungsbewegungen tragen. Nur höchstens ein bis zwei Prozent kommen nach Europa.

Menschen fliehen nicht nur vor unmittelbarer Verfolgung. Sie versuchen auch erdrückender Armut zu entkommen, sie sind auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven, haben Ziele und Träume.

In der Hoffnung auf ein besseres Leben geben sie skrupellosen Schleppern das oftmals vom ganzen Dorf zusammengelegte Geld, um dann auf maroden Booten die gefährliche Überfahrt übers Meer zu wagen, in der Hoffnung auf Europa.  Ein Europa, das sie vielfach nicht will, das sich überfordert gibt, das Angst vor ihnen hat. Ich möchte die Schriftstellerin Aminata Traore aus Mali zitieren: „Die afrikanischen Einwanderer sind keine Feinde Europas, im Gegenteil: Sie glauben an Europa“.

Und was macht Europa? Wir enttäuschen und versagen, nicht zuletzt vor uns selbst: Was bleibt von unseren Ansprüchen, wenn wir mit repressiven Grenzschutzmaßnahmen die Überfahrt von Afrika deutlich gefährlicher machen. Wenn die Abwehr Vorrang hat vor der Rettung von Menschen, dann läuft etwas dramatisch falsch.

Am 3. Oktober 2013 ertranken 300 Menschen, als ein aus dem libyschen Misurata kommendes Schiff mit 500 Flüchtlingen an Bord, Feuer fing und nahe der sogenannten Kanincheninsel vor Lampedusa sank. Seit 1993 verloren 20.000 bei der Überfahrt des Mittelmeeres ihr Leben.

Es waren Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, die Anspruch auf unseren Schutz hatten, und es waren Menschen, die wir aus Seenot hätten retten müssen.

Wollen wir die Ursachen dafür verändern, dass Menschen aus purer Not unter Lebensgefahr Grenzen zu überwinden suchen, dann müssen wir aktiv dazu beitragen, dass die Menschen in ihrem Heimatland eine Chance haben. Eine Heimat, in der Arbeit, Gesundheit und Demokratie gute Lebensperspektiven für sie und ihre Familien eröffnen. Und sicherlich wollen wir solche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse erreichen, in denen Flucht nicht notwendig wird.

Migrations- und Fluchtursachen hängen oft zusammen. Dennoch müssen wir beachten:

Flucht und Migration sind zwei unterschiedliche Begriffe. Ihre jeweiligen Bedeutungen dürfen nicht verwässert werden, schon allein deshalb nicht, um der Tendenz der populistischen Vermischung von Asyl und Zuwanderung Vorschub zu leisten.

Wir wissen und haben gelernt: Entwicklungs- und Migrationspolitik können schon längst nicht mehr unabhängig voneinander gedacht werden. Allerdings darf Entwicklungspolitik auch nicht zum Zweck der Migrationsverhinderung instrumentalisiert werden. Gerne wird in der öffentlichen Debatte sehr schlicht von Ursachenbekämpfung geredet, um Migrationsflüsse einzudämmen.

Die Hilfsorganisationen von GEMEINSAM FÜR AFRIKA wollen auch die Chancen der Migration für die Entwicklung – sowohl der Herkunfts-als auch der Zielländer – hervorheben. Dabei geht es darum, die Entwicklungspotenziale der Migration zu fördern und zugleich die Risiken der Migration zu mindern.

Die Potenziale der Diaspora und der Migranten für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung sowohl für die Herkunfts-als auch die Zielländer müssen besser genutzt und unterstützt werden. Stichworte dafür sind Rücküberweisungen, zirkuläre Migration, Partizipation von Know-How und Bildung.

Entwicklungszusammenarbeit, wie sie von den Hilfsorganisationen von GEMEINSAM FÜR AFRIKA Tag für Tag in tausenden Projekten geleistet wird, hat das große Ziel, Armut zu bekämpfen und Not zu lindern.

Aber dabei darf Entwicklungszusammenarbeit nicht einfach nur nationalen Wirtschafts- oder Sicherheitsinteressen folgen oder unterworfen werden. Unsere Verantwortung ist größer. Es muss uns zuvorderst darum gehen, die Lebenssituation armer Bevölkerungs-gruppen zu verbessern, nachhaltig und partnerschaftlich.

Deshalb fühlen sich die Hilfsorganisationen von GEMEINSAM FÜR AFRIKA den UN-Millenniumszielen in hohem Maße verpflichtet. Sie arbeiten zusammen mit ihren Partnerorganisationen in Afrika daran, diese Ziele zu erreichen und fordern die politisch Verantwortlichen auf, mehr Anstrengungen zu unternehmen, ihre auf Gipfeln gegebenen Versprechen auch einzuhalten.

Migration ist gesellschaftliche Normalität. Immer schon. Von den großen Völkerwanderungen quer über alle Kontinente bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, als Millionen Europäer auswanderten, um Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut zu entgehen. Viele Europäer fanden Aufnahme in den Zeiten von Verfolgung und Krieg. Das dürfen wir nicht vergessen. Was uns Europäern recht war, müssen wir heute Menschen aus Afrika und anderen Kontinenten ebenfalls zubilligen.

Es ist uns ein wichtiges Anliegen, Aufmerksamkeit für die Potenziale und Chancen unseres Nachbarkontinents Afrika zu erzielen. Wir wollen einen Anstoß für differenzierte Sichtweisen geben.

 

Das Dokument zum Download finden Sie hier.

Foto: UNO Flüchtlingshilfe

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