Der durch das Deutsche Reich verübte Genozid an den Ovaherero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika – auf dem Gebiet des heutigen Namibias – wurde erst im Jahr 2021 von der Bundesregierung offiziell als Völkermord anerkannt. Diese Anerkennung ließ über ein Jahrhundert auf sich warten und zeigt, wie wenig präsent selbst die gravierendsten Kolonialverbrechen in der deutschen Erinnerungskultur sind. Noch unbekannter ist der nahezu zeitgleich stattfindende Maji-Maji-Krieg (1905–1907) in der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Dieser steht exemplarisch für die brutale Durchsetzung kolonialer Herrschaft und wirft bis heute Fragen nach Verantwortung, Aufarbeitung und Erinnerung auf.Deutsch-Ostafrika1885 wurde die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika auf den heutigen Gebieten von Tansania, Ruanda, Burundi und eines Teils von Mosambik „gegründet“. Maßgeblich daran beteiligt war Carl Peters, ein deutscher Philosoph, der zunächst auf eigene Faust und später im Auftrag von Otto von Bismarck die Kolonisierung von Deutsch-Ostafrika durchgeführt hat. Von Beginn an wehrte sich die einheimische Bevölkerung gegen die Kolonialherrschaft und zahlreiche Widerstandskämpfe wurden durch das Deutsche Reich gewaltsam niedergeschlagen. Diese militärischen Feldzüge waren teuer, während die Einnahmen aus den Kolonien niedriger waren, als erwartet. Um die finanziellen Verluste auszugleichen, erhob die Kolonialverwaltung 1898 eine „Hüttensteuer“ (Steuern pro Haus/Hütte), die 1905 in eine Kopfsteuer umgewandelt wurde. Da diese Steuern für große Teile der Bevölkerung nicht zahlbar waren, mussten sie in Zwangsarbeit die Steuerschulden begleichen. In der Folge drohte eine Hungersnot, da die Menschen keine Zeit hatten ihre eigenen Felder zu bestellen.Neue Hoffnung für eine WiderstandsbewegungDiese hohen Steuerabgaben und die Zwangsarbeit, aber auch Jagdverbote, Landenteignung und die grundlegende Unterdrückung führten zur Entstehung einer neuen und breiteren Widerstandsbewegung im Süden Deutsch-Ostafrikas und mündeten im Maji-Maji-Krieg. Ein ausschlaggebender Faktor für den wiedergewonnenen Widerstandswillen war die Botschaft des Heilers Kinjikitile Ngwale. Ngwale stellte ein Mittel „Maji“ zur Verfügung, das Immunität gegen die Waffen der Kolonialtruppen versprach. „Maji“ ist Swahili und bedeutet im Deutschen „Wasser“. Durch die Einnahme, das Einreiben oder das Tragen der Tinktur seien die Kämpfer*innen vor den Kugeln des Gegners geschützt. Der Glaube daran hielt natürlich nicht lange und wurde ohnehin nicht von allen geteilt. Vielmehr diente das Maji als symbolisches Element zur Massenmobilisierung. „Die eigentliche Wirksamkeit der Maji-Ideologie“ schreibt Charlotte Wiedemann in ihrem Buch „Den Schmerz der anderen begreifen“, „lässt sich eher als ein politisches Versprechen begreifen: dass nämlich die technologische Überlegenheit der Kolonialherrscher durch Massenmobilisierung überwunden werden können.“Es stiftete Mut, verlieh dem Aufstand eine spirituelle wie politische Legitimation und vereinte vor allem tausende Kämpfer*innen verschiedener ethnischer Gruppen: „Diese Revolte entwickelte sich zu einer transkulturellen und überregionalen Massenbewegung. Menschen verschiedener Religionen, Staatsformen, Sprachen und Kulturen, die vor der Kolonisierung zum Teil auch in feindlicher Beziehung standen, schlossen sich zusammen. Mehr als zwanzig Volksgruppen beteiligten sich im Kampf gegen die Fremdherrschaft“ (iz3w: 2024). Am 20. Juli 1905 begann der Krieg gegen die Deutschen mit der Zerstörung von Baumwollfeldern auf denen Zwangsarbeit geleistet wurde. In den darauffolgenden Wochen wurden zahlreiche Militärstationen, Plantagen und Missionen der Kolonialregierung und weißer Menschen erfolgreich angegriffen und geplündert. Im Laufe der Zeit konnten die Maji-Maji-Kämpfer*innen ein Fünftel des Kolonialgebiets zurückerobern. Besonders zu Beginn hatten sie den Vorteil des Überraschungseffektes gegenüber der deutschen Kolonialherrschaft.Die Schlacht von Mahenge – Ein WendepunktEnde August 1905 griffen die Widerstandskämpfer*innen den deutsche Verwaltungssitz und Militärposten in Mahenge an. Hier endete die Erfolgssträhne der Maji-Kämpfer*innen: Die Kolonialtruppen schlugen den Angriff gewaltsam nieder. Mit einer Guerilla Taktik setzten Maji-Kämpfer*innen jedoch ihren Kampf fort. Daraufhin begannen die Kolonialtruppen Siedlungen niederzubrennen sowie Felder, Brunnen, Dörfer und Vorräte in Südtansania zu zerstören. Mit diesem Vorgehen vernichteten die Truppen der Kolonialregierung die Lebensgrundlagen für die Kämpfer*innen, aber auch der allgemeinen Bevölkerung. Die Folge war eine strategisch verursachte Hungersnot. Die von den Kolonialtruppen gefassten Maji-Kämpfer*innen wurden ermordet oder zu Zwangsarbeit verurteilt. Das durch die Maji-Kämpfe zuvor eroberte Land wurde im Jahre 1906 wieder fast vollständig unter koloniale Fremdkontrolle gebracht.Offiziell endete der Krieg am 18. Februar 1907. Heute wird davon ausgegangen, dass ungefähr ein Drittel der Bevölkerung von Deutsch-Ostafrika, also 250.000 bis 300.000 Menschen, direkt oder indirekt durch den Krieg getötet wurden. Auf deutscher Seite waren es Schätzungen zufolge etwa 1.000 Menschen.Erinnerung in Tansania heuteDer Maji-Maji Krieg galt aufgrund der Niederlage lange nicht als Erfolgsgeschichte für die tansanische Gesellschaft. Erst später wurde der Krieg für den Ausdruck eines Zusammengehörigkeitsempfinden über Grenzen ethnischer Gruppen hinweg gesehen und sollte zu einer Einheit im Land beitragen. Teil der Erinnerungskultur bleibt der Maji-Maji Krieg bis heute vor allem in Südtansania, wo die Mehrheit der Kämpfe stattgefunden hat. So erinnert im tansanischen Kilwa Kivinje bis heute eine Statue des Heilers Kinjikitile Ngwale an den Widerstand gegen die Kolonialherrschaft. Er wurde schon vor dem Ausbruch der großen Kämpfe von der deutschen Truppe festgenommen und gehängt.Aufarbeitung, Erinnerung & Verantwortungsübernahme in DeutschlandAuf deutscher Seite verläuft die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen nur schleppend. Zwar bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch in Tansania im Jahr 2023 um Verzeihung für die Verbrechen der deutschen Kolonialherrschaft und versprach Aufarbeitung. Doch die fortlaufenden Gespräche zwischen der tansanischen und der deutschen Regierung über die Rückgabe von Raubgut – darunter zahlreiche Gebeine von Maji-Kämpfer*innen – sowie über Wiedergutmachungen und die Anerkennung der Kolonialverbrechen haben bisher kaum konkrete Ergebnisse hervorgebracht. Die dekoloniale zivilgesellschaftliche Bewegung in Deutschland konnte jedoch im August 2024 nach jahrelangem Einsatz einen wichtigen Erfolg erzielen: Im Afrikanischen Viertel in Berlin wurde die „Petersallee“ in „Maji-Maji-Allee“ umbenannt – ein bedeutender Schritt hin zu mehr Sichtbarkeit kolonialen Widerstands und zur Abkehr von der Ehrung kolonialer Täter. Die Straße erhielt seinen Namen nach dem oben genannten Kolonisator Carl Peters. Mit der Umbenennung wurde sein Name aus dem Straßenbild und damit dem öffentlichen Raum entfernt und stattdessen der Widerstand der indigenen Bevölkerung in den Vordergrund gerückt. Dennoch bleibt ein strukturelles Problem bestehen: Viele Menschen in Deutschland kennen weder Carl Peters als rassistischen Kolonisator noch den Maji-Maji Krieg als Ausdruck antikolonialen Widerstands. QuellenBpb: kurz & knapp: Vor 115 Jahren: Der Maji-Maji-Aufstand (August 2020)Botanischer Garten der Universität Potsdam: Haben Sie schon mal vom Maji-Maji-Krieg gehört? (Februar 2023)Deutsche Welle: Koloniale Aufarbeitung: Deutsche Zurückhaltung in Tansania (Juni 2023)iz3w: Bis heute traumatisch, Maji-Maji: Verdrängter Genozid oder erinnerter Widerstand? (Juni 2024)Migrations Geschichte: Der Maji-Maji Aufstand (Juli 2022)Charlotte Wiedemann: Den Schmerz der anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis. (2022)Verfasst am 21. Juli 2025