EU-AU-Gipfel: Nur auf halber Augenhöhe?

Strategische Relevanz für beide Seiten, das sei der Leitgedanke, mit dem die EU die Gipfel-Themen behandle. Doch was ist das Ergebnis?

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EU-AU-Gipfel: Nur auf halber Augenhöhe?

Uneinigkeit bei der Pandemiebekämpfung 

Vergangene Woche fand in Brüssel das Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen Union (AU) und der EU statt. Die dortige Zusammenkunft der Mitgliedsstaaten sollte Gespräche und Beratung zu global relevanten Angelegenheiten ermöglichen. Hoch in der Agenda standen die Themen Migrationspolitik, Klimakrise und die Covid-19-Pandemie. Laut aktueller Berichterstattung fallen die konkreten Ergebnisse leider jedoch sehr ernüchternd aus und geben Anlass, die zuvor gepredigte Augenhöhe zwischen Afrika und Europa in Frage zu stellen.  

Keine Freigabe von Impfstoffpatenten 

Die Pandemie stand im Mittelpunkt der Diskussionen und dominierte den Ablaufplan. Kein Wunder, mangelt es im globalen Süden nicht nur an nötigen und bezahlbaren Tests, sondern auch an ausreichend Impfstoff dank der immer noch ausbleibenden Freigabe der Impfstoffe. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa forderte daher die Freigabe der Covid-Impfstoffpatente, damit afrikanische Staaten Impfstoff eigenständig herstellen können. Dies „bedeute gegenseitigen Respekt und eine Anerkennung dessen, was die afrikanischen Länder beitragen könnten“, so Ramaphosa. Das Vorhaben würde auch Investitionen auf den Kontinent bringen, medizinische Infrastruktur schaffen und die Rolle Afrikas bei der Bekämpfung der Pandemie stärken (1). 

Auch Spenden seien kein nachhaltiger Weg, um robuste Widerstandsfähigkeit aufzubauen, betonten viele Regierungsvertreter*innen. In der Corona-Pandemie gehe es um das Leben von Millionen Menschen und nicht um die Profite einer Handvoll Unternehmen, die die Patente zurückhalten (3). Doch auch Deutschland erteilte der Patentfreigabe eine unmissverständliche Absage. Bundeskanzler Olaf Scholz unterstrich, dass Deutschland sich nicht hinter Patenten verschanzen würde, sondern es darum gehe, “dass wir den großen Fortschritt, der zum Beispiel mit der Entwicklung der mRNA-Technologie verbunden ist, jetzt nicht verspielen.“ Vielmehr möchte Scholz Produktionsmöglichkeiten vor Ort schaffen und sich für ein konstruktives Abkommen bei der Welthandelsorganisation einsetzen, dass zum einen die Pandemie-Folgen bekämpft und sich zum anderen „mit Fragen des geistigen Eigentums beschäftigen soll.“ (2) Außerdem stellt Scholz heraus, dass die deutsche Regierung ein „zuverlässiger Partner“ sei und seinen Teil dafür leiste, dass das Impfziel der WHO von 70 Prozent der Weltbevölkerung erreicht werde. Ungeachtet der eher nichtssagenden Formulierung nannte Senegals Präsident Macky Sall diese Ankündigung auf der Bühne „ermutigend“.  

In Anbetracht der 55 Millionen Impfdosen, die Europa bis Ende Februar entsorgen wird – während nur 30 Millionen Impfdosen an afrikanische Länder gespendet wurden – wirkt das allerdings alles andere als ermutigend.

Es kann keine internationale soziale Gerechtigkeit geben, wenn das Herkunftsland über Leben und Tod entscheidet. Südafrika und Indien legten im Oktober 2020 einen Antrag bei der Welthandelsorganisation vor, um den Patentschutz auszusetzen. 100 Staaten unterstützten diesen Antrag – darunter Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), 175 Nobelpreisträger*innen und ehemaligen Staats- und Regierungschef*innen, das EU-Parlament, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Jedoch nicht die EU-Staaten sowie die alte und neue Bundesregierung. Und das, obwohl Robert Habeck noch im Wahlkampf Kampagne mit der Freigabe der Impfpatente machte. Nach Gesprächen mit Biontech änderte er seine Meinung. 

Bereitstellung von Technologie 

Strategische Relevanz für beide Seiten, das sei der Leitgedanke, mit dem die EU die Gipfel-Themen behandle. Doch Scholz beharrt konsequent auf ein Freigabeverbot der Patente. „Schließlich könnte jeder Hersteller weltweit die Technologie des Mainzer Pharmakonzerns Biontech nutzen, ohne dass er Lizenzgebühren zahlen oder Strafen befürchten müsste“, daher müssten Eigentumsrechte von Unternehmen gewahrt werden. Immerhin würden sechs afrikanische Länder, Ägypten, Kenia, Nigeria, Senegal, Südafrika und Tunesien, Technologie für die Herstellung von patentfreien mRNA-Impfstoffen erhalten, um die Produktion auch in einkommensschwachen Ländern rasch zu erhöhen (3). Inwiefern die sechs Standorte ausreichen sollen, ist unklar. Der Tagesspiegel prangert diese Blockadehaltung zurecht als eine Form neokolonialen Verhaltens an und stuft die ständige Aussage auf die Unfähigkeit der Pharmakonzerne, in Ländern des Globalen Südens ebenfalls mRNA-Impfstoffe herzustellen als “irritierend arrogant, wenn nicht gar rassistisch“ ein. 

Augenhöhe? 

Es stellt einen Verstoß gegen die menschenrechtlichen Verpflichtungen unter anderem zum Schutz der Rechte auf Gesundheit und Leben dar, dass Afrika sich mit Blick auf Medikamente und aller dazugehörigen lebenswichtigen Diagnostika und Produkten (Tests, Schutzmasken, Beatmungsgeräte) hintenanstellen muss. Es ist also de facto rein rechtlich verboten, die Freigabe zu blockieren.  So “das Ergebnis eines Gutachtens, das eine internationale Koalition von Menschenrechtsorganisationen – unter anderem die International Commission of Jurists (ICJ), das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die im People‘s Vaccine-Netzwerk zusammengeschlossen NGOs, veröffentlichte (5). Doch auch in Sachen Migrationspolitik und Klimakrise sind die ohnehin unkonkreten “Fortschritte” mehr als ungenügend und stellen eine Gefahr für die Demokratie dar (4). „Die großen Fragen unserer Zeit“, Klimaschutz, Migration, Menschenrechte, Mobilität, „ließen sich nur gemeinsam beantworten.“ (2) Doch die Patentblockaden der EU lassen die Augenhöhe auf Kniehöhe absinken. 

Allgemeine Beschlüsse 

Die Afrikanische Union und die EU beschlossen, bis zum Jahr 2030 ein Investitionspaket aus öffentlichen und privaten Mitteln in Höhe von 150 Milliarden Euro bereitzustellen. Verwendung finden die Gelder u.a. für Impfprogramme in den Ländern Afrikas, aber auch für Klimaschutzmaßnahmen und in der verstärkten Zusammenarbeit bei der Migrationspolitik (3). Wie ausreichend die Investitionen in Angesicht der politischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Lage der Länder und Bevölkerungen sind, ist zunächst schwer einzuschätzen. 

Quellen:

(1) „mRNA-Technologie für sechs Länder in Afrika“ in ZDF heute vom 18.02.2022 

(2) Kolb, M. und Finke, B. / „Deutschland besteht auf Patentschutz für Covid-Vakzine“ in Süddeutsche Zeitung vom 18.02.2022 

(3) „EU und Afrikanische Union vereinbaren neue Partnerschaft“ in ZEIT ONLINE vom 18.02.2022 

(4) “Will EU-AU summit reshape Europe-Africa relations?” in African Business vom 18.02.2022 

(5) Saage-Maaß, M. und Kaltenborn, M. / “Verstoß gegen Menschenrechte” in Tagesspiegel Background vom 09.11.2021

Verfasst am 21.02.2022