Natürlich reich und trotzdem arm? Die Theorie des "Ressourcenfluchs"   

Haben rohstoffreiche Länder einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber rohstoffarmen Ländern? Eher nicht, suggeriert die Theorie des "Ressourcenfluchs".

In Zeiten von Energiekrise und einem Krieg, der zu einem Großteil aus Bodenschätzen finanziert wird, scheint es zunächst eine plausible Annahme zu sein, dass rohstoffreiche Länder einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber rohstoffarmen Länden hätten (1). Diese Annahme hielt sich auch in der Wissenschaft lange Zeit standhaft und wurde erst in den 1980er Jahren durch zahlreiche Studien hinterfragt, in denen ein Zusammenhang zwischen Ressourcenreichtum und niedrigem Wirtschaftswachstum nachgewiesen wurde (2). Ein Phänomen, das auch als „Ressourcenfluch“ bezeichnet wird. Als Beispiele auf dem afrikanischen Kontinent zählen hierzu unter anderem Nigeria, Angola und die Demokratische Republik Kongo (DRK).  

So war Nigeria 2021 führender Erdölproduzent und -exporteur Subsahara Afrikas, gefolgt von Angola. (6) Doch im Index für menschliche Entwicklung (Human Development Index – HDI), einem Wohlstandsindikator für Staaten, liegen beide Länder auf den hinteren Plätzen (Nigeria: Platz 163/191; Angola: Platz 148/191). Gleiches gilt für die DRK. Reich an Kobalt (z.B. für Lithium-Ionen-Batterien in E-Autos, die u.a. in der deutschen Automobilindustrie eingesetzt werden), Tantal (wichtiger Stoff für die Elektrotechnik) und Diamanten, belegt das Land im HDI Platz 179 von 191 (7) Doch wie ist dieser scheinbare Gegensatz zu erklären?  

Schlüsselfaktoren des Ressourcenfluchs 

Der afrikanische Kontinent ist reich an Rohstoffen. Doch unterschiedliche und kontextabhängige Schlüsselfaktoren führen dazu, dass die Wirtschaft und die Bevölkerung einiger Staaten nicht davon profitiert.

Die Erklärungsansätze für dieses Paradox sind vielfältig und für die einzelnen Länder unterschiedlich ausgeprägt. Gewiss spielt eine Rolle, dass viele der rohstoffreichen Länder gleichzeitig auch autokratisch-diktatorisch geführt werden. Vom Druck der Widerwahl entlastet, orientiert sich die Wirtschaftspolitik dieser Regierungen oftmals an den Interessen einer kleinen Oberschicht. (1) Bleiben wir bei den oben genannten Beispielen, so zeigt sich, dass alle drei Staaten auf dem Demokratieindex von 2022 als autoritäre bzw. im Falle Nigerias als hybrides Regime eingestuft werden. (8) 

Ein weiterer Aspekt ist Korruption. So landen viele rohstoffreiche Länder auf den hinteren Plätzen des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International. Von insgesamt 180 bewerteten Ländern belegt Nigeria Platz 150, Angola Platz 116 und die DRK Platz 166. (9) Korruption hemmt die Entwicklung der Wirtschaft und klaut dem Staat Einnahmen (unter anderem vom Export der Rohstoffe), die z.B. für Investitionen in Infrastruktur, das Gesundheitssystem und Bildung benötigt werden. Zudem fördern große Vorkommen natürlicher Rohstoffe bewaffnete Konflikte um die wertvollen Lagerstätten. (2)  

Darüber hinaus führt ein großer Reichtum an natürlichen Ressourcen häufig zu einer oft einseitigen und damit krisenanfälligen Wirtschaftsstruktur. Fokussiert sich ein Staat nur auf eine einzige Einnahmequelle – hier die Einnahme durch den Export der natürlichen Rohstoffe – macht dieser sich davon abhängig. So hatten zum Beispiel die fallenden Ölpreise in den letzten Jahren für ein Land wie Nigeria dramatische wirtschaftliche Folgen. (2) Von dieser Gefahr sind auch stabile demokratische Staaten betroffen.   

Der Ressourcenfluch ist kein Naturgesetz 

Rohstoffreiche Länder wie Botsuana und Ghana zeigen jedoch, dass der Ressourcenfluch kein unumgängliches Naturgesetz sein muss. Nach dem Vorbild Norwegens – dem drittgrößten Erdölexporteur der Welt -, das einen erheblichen Anteil der Ressourcen-Einkünfte in einen staatlichen Pensionsfonds und den Rest in Bildung, Gesundheit und die Infrastruktur investiert, hat auch Ghana ein Gesetz verabschiedet, das einen Teil der Öleinnahmen des Landes in staatliche Fonds überführt. Kontrolliert durch ein speziell dafür gegründetes Komitee, dem auch zivilgesellschaftliche Akteure beisitzen, dient dieser der Stärkung von bäuerlicher Landwirtschaft und als Puffer für Krisenzeiten. Ähnliches gilt für Botsuana. Das Land im Süden Afrikas ist der weltweit größte Exporteur von Edelsteinen und investiert einen Großteil der Einnahmen aus dem Export in das Bildungs- und Gesundheitswesen. So hat es das Land seit Erlangung seiner Unabhängigkeit 1966 in relativ kurzer Zeit geschafft, zu einem der finanziell und politisch stabilsten Staaten Afrikas zu werden. (3) (4) 

Good Governance und Investitionen in Humankapital 

Natürlich spielen noch weitere, individuell geltende Faktoren eine Rolle für den Erfolg der Länder. Die Beispiele machen jedoch zwei allgemeine Aspekte deutlich, die dazu beizutragen scheinen, dem Ressourcenfluch zu entgehen: Gute Regierungsführung und Investitionen in Humankapital. Besonders der hohe Stellenwert von Bildung schlägt sich in einer höheren Arbeitsproduktivität nieder und kann somit höhere Wachstumsraten gewährleisten. So wird erwartet, dass die Entwicklung von Fähigkeiten bei der Gewinnung und Nutzung der natürlichen Ressourcen helfen kann. Das wiederum kann die negativen Auswirkungen auf das Wachstum, die mit dem Verbrauch natürlicher Ressourcen einhergehen, abschwächen. (5) 

Die Beispiele machen deutlich, dass die Auswirkungen des Rohstoffreichtums von Land zu Land unterschiedlich und nicht vom Rohstoffreichtum per se, sondern von den Kontextfaktoren abhängig sind. Ob der Begriff Ressourcenfluch also tatsächlich angebracht ist, lässt sich anzweifeln.  

Quellen

(1) Frankfurter Allgemeine: Der Fluch des Rohstoffreichtums (März 2023)
(2) DNR: Ressourcenfluch (Letzter Aufruf am 24. Mai 2023)  
(3) Deutschlandfunk Kultur: Ressourcenfluch - Warum viele Länder trotz Rohstoffreichtum arm bleiben (Mai 2015)   
(4) Spiegel: Der Fluch der Ressourcen (Mai 2006)
(5) Rahim et al.: Do natural resources abundance and human capital development promote economic growth? A study on the resource curse hypothesis in Next Eleven countries, in: Resources, Environment and Sustainability Volume 4 (Juni 2021)
(6) Statista: Oil production in Africa as of 2021, by country (Juni 2022)
(7) United Nations Developmental Programme: Human Development Report 2021-22 (September 2022)
(8) Länderdaten: Demokratieindex 2022
(9) Transparancy International Deutschland: CPI 2022: Tabellarische Rangliste

Verfasst am 24. Mai 2023

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