Ist das neue Lieferkettengesetz wirksam gegen Kinderarbeit?

Deutschland ist stark von Importen aus dem Ausland abhängig. Somit ergibt sich eine Verantwortung für Menschen, die in anderen Ländern Produkte unseres täglichen Lebens herstellen. Um beispielsweise etwas gegen ausbeuterische Kinderarbeit innerhalb unserer Lieferketten zu unternehmen, soll nun das Lieferkettengesetz verabschiedet werden.

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Ist das neue Lieferkettengesetz wirksam gegen Kinderarbeit?

Von allen Industrienationen der Erde ist Deutschland am stärksten  in internationale Lieferketten eingebunden. Im Jahr 2018 machten 320.000 deutsche Exportunternehmen einen Umsatz von 1,32 Billionen Euro. Mehr als 770.000 Unternehmen sind über den Import im internationalen Handel aktiv und erwirtschafteten 2018 einen Umsatz von 1,09 Billionen Euro. 

Viele alltägliche Dinge kommen aus anderen Ländern 

Die wichtigsten Importe aus anderen Ländern stellen mit 63 % Textilien dar, auch elektronische Geräte werden zu 45 % importiert. Die chemisch pharmazeutische Industrie bezieht 39 % ihrer Rohstoffe und Produkte aus anderen Ländern. Auch 39 % der Lebensmittel müssen nach Deutschland importiert werden. 

Sehr viele alltägliche Produkte werden also nicht in Deutschland hergestellt. Viele Rohstoffe, die für diese Produkte nötig sind, kommen aus dem globalen Süden. Einige dieser Rohstoffe und Produkte werden in anderen Ländern unter menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen produziert. Dazu gehören unter anderem ausbeuterische Kinderarbeit oder Zwangsarbeit. 

Deutschlands Verantwortung für menschenwürdige Arbeitsbedingungen 

Durch die engen internationalen Verbindungen durch Lieferketten steht Deutschland auch in der Verantwortung, etwas gegen menschenrechtsverletzende Arbeitsbedingungen in anderen Ländern zu tun. Denn laut Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes ist die Würde des Menschen unantastbar.

Nach langen Diskussionen zwischen den Bundesministerien für Entwicklung, Arbeit und Wirtschaft verabschiedete das Bundeskabinett im März 2021 ein Gesetzentwurf für ein neues Lieferkettengesetz. Möglicherweise wird der Entwurf noch im Juni 2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedet. 

Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten 

Zunächst heißt das Gesetz eigentlich “Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten” und klingt erst einmal vielversprechend: Deutsche Unternehmen sollen die Menschenrechte der Arbeiterinnen und Arbeiter in ihren Zulieferunternehmen im Ausland schützen. Dafür sollen Risikoanalysen durchgeführt und Präventionsmaßnahmen bspw. gegen Kinderarbeit oder Zwangsarbeit entwickelt und umgesetzt werden.  

Zudem sollen Beschwerdeverfahren eingerichtet werden, damit Arbeiterinnen und Arbeiter aus ausländischen Unternehmen Menschenrechtsverletzungen melden können. Diese müssen dann mit Hilfe deutscher Unternehmen in Zukunft vermieden oder zumindest minimiert werden. 

Lobbyarbeit führt zu milderem Gesetzentwurf 

Das Gesetz wurde allerdings durch Lobbyverbände deutscher Unternehmen stark abgemildert: Nun sollen nicht mehr alle Unternehmen von dem Gesetz betroffen sein, sondern nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Das sind etwa 4.800 in Deutschland. Auch große Niederlassungen ausländischer Unternehmen in Deutschland sind von dem neuen Gesetz betroffen. 

Deutsche Unternehmen nur für direkte Zulieferfirma verantwortlich 

Unternehmen sind nun auch nicht mehr direkt für alle Zulieferfirmen in ihrer Lieferkette verantwortlich, sondern nur noch für die unmittelbaren. Das bedeutet, die ersten Stationen der Lieferketten müssen nicht aktiv von deutschen Unternehmen kontrolliert werden. Ihre Sorgfaltspflichten gelten bei mittelbaren Zulieferern nur anlassbezogen, d.h., wenn eine Beschwerde vorliegt oder bereits ein Schaden entstanden ist. Allerdings sollen auch für mittelbare Zulieferfirmen Beschwerdeverfahren eingerichtet werden. Sollten menschenrechtsverletzende Arbeitsbedingungen bei mittelbaren Zulieferfirmen dem Unternehmen bekannt werden, müssen Konzepte zur Minimierung dieser erarbeitet und umgesetzt werden. Konkrete Verantwortung tragen deutsche Unternehmen allerdings nur für ihre direkten Zulieferfirmen. 

Keine Schadensersatzansprüche im Falle von Gesetzverstößen 

Falls diese Auflagen verletzt werden, sollen deutsche Unternehmen künftig Bußgelder zahlen müssen. Zivilrechtliche Strafen, wie Schadensersatzansprüche, werden allerdings durch das Gesetz ausgeschlossen. Trotzdem soll es für ausländische Arbeitnehmende möglich werden, sich im Falle von menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen von Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften in Deutschland vertreten zu lassen und deutsche Unternehmen zu verklagen. Allerdings kann nicht auf Schadensersatz geklagt werden. 

Abgemildertes Lieferkettengesetz kaum wirksam gegen Kinderarbeit 

Insgesamt erfüllt das Gesetz nicht die Erwartungen auf einen wirksamen Schutz der Menschen- und Kinderrechte. Denn Kinderarbeit findet sich selten bei den direkten Zulieferern deutscher Unternehmen, sondern eher in früheren Stationen der Wertschöpfungskette. So beispielsweise beim der Kakao– und Kaffeeanbau, bei der Baumwollernte oder im Bergbau. Diese Stationen fallen allerdings kaum unter das neue Lieferkettengesetz bzw. müssen nur anlassbezogen kontrolliert werden. Zusätzlich entsteht die Gefahr, dass Kinderrechtsverletzungen in frühere Stufen der Lieferkette verlagert werden, damit sie nicht von deutschen Unternehmen nachverfolgt werden müssen. Es ist außerdem fraglich, ob der Beschwerdemechanismus für Kinder und Jugendliche auch praktisch zugänglich ist. Nicht zuletzt steht Kinderarbeit in Verbindung mit Kinderarmut. Diese wird durch das Gesetz nicht bekämpft. 

Um Rechte von Kindern tatsächlich richtig schützen zu können, wäre es nötig, alle Beteiligten einer Lieferkette sorgfältig zu überprüfen. Der aktuelle Entwurf des Gesetzes wird wohl wenig positive Auswirkungen auf Kinderrechte mit sich bringen. 

Quelle:

Much, L. / Warum Kinder ein wirksames Lieferkettengesetz brauchen von Unicef vom 19.02.2021.  

o. A. / Durchbruch bei umstrittenen Lieferkettengesetz vom 31.05.2021 in absatzwirtschaft.  

Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 24.03.2021 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Datum: 02.06.2021