Stimme Indigener Völker: Hindou Oumarou Ibrahim

Hindou Oumarou Ibrahim, Angehörige der indigenen Mbororo-Gemeinschaft aus dem Tschad, setzt sich für eine stärkere Einbeziehung des Wissens und der Traditionen indigener Völker in den globalen Bestrebungen der Bekämpfung der Klimakrise ein. Sie kombiniert westliche Technologien mit dem Wissen ihrer Vorfahren für einen nachhaltigen Lösungsansatz.

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Stimme Indigener Völker: Hindou Oumarou Ibrahim

In vielen Regionen Europas wurden in diesem Sommer Rekordtemperaturen von über 40 Grad erreicht. Diese Wetteranomalie hielt meistens nur ein paar Tage an. Im zentralafrikanischen Tschad, wo die Durchschnittstemperaturen anderthalbmal schneller steigen als im Rest der Welt, sind hingegen Temperaturen von 45 bis 50 Grad grausame und regelmäßige Realität. Die Wüste der Sahara breitet sich unaufhaltsam aus, große Binnengewässer schrumpfen und die ohnehin schon extremen Lebensbedingungen der Bevölkerung werden zusätzlich erschwert. Die Temperaturen sind eine tödliche Gefahr für Kinder, alte Menschen und Schwangere. Dürren halten länger an und gewaltsame Konflikte entstehen um das wenige verbliebene fruchtbare Land. (1) 

Vor allem indigene Völker stellen aufgrund ihrer Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen die ersten Opfer der unmittelbaren Folgen der Erderhitzung dar. Indigene Völker und lokale Gemeinschaften bewirtschaften etwa 40 Prozent der noch intakten Landschaften der Erde. Ihre Fähigkeit, diese Landschaften zu schützen, ist untrennbar mit der Fähigkeit des Rests der globalen Gemeinschaft verbunden, die gemeinsamen Ziele in den Bereichen Klima und nachhaltige Entwicklung zu erreichen. (7) 

“Unsere indigene Lebensweise, unsere Kultur, unsere Identität sind vom Ökosystem abhängig. Das macht uns verwundbar.”

Hindou Oumarou Ibrahim (4) 

Mit westlichen Technologien und Indigenem Wissen gegen die Klimakrise  

Hindou Oumarou Ibrahim, Angehörige der nomadischen Gemeinschaft Mbororo im Tschad, findet Lösungen für die Krise in ihrer Heimat, indem sie traditionelles Wissen ihrer Vorfahren mit modernen Technologien in Verbindung bringt. (6)  Eines ihrer ersten Projekte war die Zusammenarbeit mit Meteorologen, um lokale, zeitnahe Vorhersagen zu erstellen, die ihre Gemeinde angesichts des Wetters, das durch die Klimakrise unberechenbarer wird, nutzen konnte. Daraus entstand ein SMS-basiertes Warnsystem, das sowohl die Stadtbewohner*innen als auch die Hirt*innen über schlechte Wetterbedingungen informiert. (4) 

Schlichterin von Konflikten 

Eines der hartnäckigsten Probleme der Sahelzone sind die Konflikte zwischen sesshaften, in der Landwirtschaft tätige Menschen und Nomad*innen um die rapide schwindenden Wasserressourcen. Der Tschadsee war einst einer der größten Seen in Afrika. In wenigen Jahrzehnten ist er jedoch auf ein Zehntel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft, was sich massiv auf das Leben von Fischer*innen, in der Landwirtschaft tätigen Menschen und Viehhirt*innen auswirkt. Bei einem Workshop für gleichgesinnte indigene Führungspersonen im Jahr 2010 lernte Ibrahim die partizipative Kartierung kennen, ein System, bei dem Gemeinschaften lokales Wissen und Geschichte mit den Werkzeugen der modernen Kartografie kombinieren, um die Bedürfnisse einer Region besser zu verstehen. (4)  

Beginnend in ihrer Gemeinde ließ sie Mitglieder auf Karten Höhenzüge, Flüsse und Viehkorridore dokumentieren. Frauen* vermerkten Quellen, an denen sie Wasser holten und Orte, wo sie Pflanzen für Medizin fanden. Dann wandte sie sich an Fischer, die Zugang zum Ufer benötigten sowie schließlich an Landwirt*innen, die Anbauflächen skizzierten. 3D-Landschaftsmodelle entstanden, die später digitalisiert wurden. Mit diesem Modell der verschiedenen Bedürfnisse ausgestattet, konnte sie jeder Gemeinschaft helfen, Kompromisse zu finden, die den Zugang zu Wasser ermöglichten und gleichzeitig Konflikte milderten. (4) (6)  

Zusätzlich diene die Karte aber auch als datierte Bestandsaufnahme natürlicher Ressourcen, mit dessen Hilfe künftige Veränderungen im Falle von Dürre und Überschwemmungen vorhergesagt werden können, die mit der Klimakrise immer wahrscheinlicher werden. Denn ein großer Teil der Widerstandsfähigkeit indigener Völker beruhe auf dem Wissen, was einen erwartet und der Vorbereitung darauf, so Ibrahim. (4)  

Indigene Gemeinschaften gehören zu denjenigen, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, aber sie können auch Lösungen anbieten. Das traditionelle, jahrhundertealte Wissen der indigenen Völker kann der Welt helfen, sich anzupassen.

Hindou Oumarou Ibrahim (2) 

Internationales Wirken  

Neben der Anpassung indigener Gemeinschaften an die Klimakrise ist Ibrahim auch gleichzeitig Expertin für das Thema Frauen und Klimakrise in Afrika. Auf internationaler Ebene repräsentiert sie bei UN-Klimaverhandlungen die Initiative indigener Völker und ist Koordinatorin der Organisation Indigenous Women and Peoples Association of Chad (AFPAT), die sich für die Belange indigener Frauen* einsetzt. (3) 

Für ihren Einsatz hat Ibrahim bereits einige internationale Preise und Ehrungen erhalten. So wurde sie 2019 mit dem Pritzker Emerging Environmental Genius Award ausgezeichnet, einem Umweltpreis, mit dem Menschen unter 40 geehrt werden, die sich in außergewöhnlicher Weise für die Umwelt einsetzen. Im gleichen Jahr wurde sie zudem vom Time Magazine als eine von 15 Frauen* aufgeführt, die sich im Kampf gegen die Klimakrise engagieren. (5) 

Quellen

(1) Frankfurter Rundschau: Meine Gemeinschaft verschwindet (September 2019)
(2) Time: Meet 15 Women Leading the Fight Against Climate Change (September 2019)
(3) Oxfam: Aus dem Leben wird Überleben – Klimazeugen berichten  
(4) Time: An Advocate for Indigenous People Works to Unite Science and Local Knowledge (Oktober 2021) 
(5) Global Landscapes Forum: What are the main outcomes from UNCCD COP15?  
(6) Tagesspiegel: 500 Dollar und eine Kalaschnikow – Wie Terroristen vom Klimawandel profitieren (Juni 2021)
(7) Daijiworld: Public consultation to shape future carbon market (Juli 2022)