Nairobi in Aufruhr: TikTok und die Macht der jungen Protestbewegung
Die Generation Z treibt sich gerne auf TikTok rum – diese Plattform wird oft belächelt und als ein weiterer Social-Media-Trend abgetan, mit dem man sehr viel Zeit mit Katzenvideos verbringt. Was hat also TikTok mit einem politischen Protest zu tun?
In der Woche um den 20. Juni 2024 sind die Straßen Nairobis, der Hauptstadt Kenias, voll von jungen Menschen – kaum einer ist älter als 30 Jahre, ein Großteil sind Frauen. Sie sind laut, halten Schilder und Handys mit laufender Kamera in die Luft. „Ich bin hierhergekommen, weil die Regierung die Steuern auf Damenbinden erhöhen will und das, obwohl sich jetzt schon viele keine leisten können.“ erklärt Demonstrantin Ashley Natasha. Nicht nur auf Periodenprodukte (die sich ohnehin nicht jede Frau leisten kann) sollen Steuern erhöht werden, sondern auch auf Brot (16 Prozent), Speiseöl (25 Prozent) sowie Windeln und Transaktionsgebühren beim mobilen Bezahlen (Mobile Money). All diese Erhöhungen sollen auf die kenianische Bevölkerung umgelegt werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf, die „Finance Bill“ existiert bereits – dieser und seine Inhalte wurden über Social-Media-Kanäle wie Instagram, X und TikTok geteilt und zum Protest aufgerufen. Dem Aufruf folgten Hunderte Menschen.
Hintergrund
Die Maßnahme, Steuern zu erhöhen, kommt nicht von ungefähr. Die Regierung in Nairobi unter Präsident William Ruto kämpft seit dessen Amtsantritt 2022 mit hohen Verschuldungen des Staates. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig: Die Arbeitslosigkeit ist seit 2016 um rund 3 Prozent auf 5,5 Prozent gestiegen. Das entspricht 2,6 Millionen arbeitslosen Männern und Frauen. Insbesondere die junge Bevölkerung trifft das hart, die trotz guter (Aus-) Bildung keine Jobs findet. Dazu sind die Lebenshaltungskosten in den letzten fünf Jahren bis zu 30 Prozent angestiegen, nicht zuletzt auch durch die COVID-19-Pandemie 2020.
Proteste und Polizeigewalt
Was zunächst als friedlicher Protest begann, entwickelte sich schnell zu gewalttätigen Ausschreitungen. Denn als am Dienstag, den 25. Juni, die Finance Bill zur Abstimmung im Parlament gestellt wurde, stimmten zwei Drittel der Abgeordneten dafür. Kurz darauf wurde das Parlament von den Demonstrant*innen gestürmt und Teile des Rathauses in Brand gesetzt. Der Präsident kündigte am selben Abend ein hartes Durchgreifen seitens der Sicherheitskräfte an. Die Polizei und das Militär setzten neben Tränengas und Wasserwerfen auch scharfe Munition ein. Der Protest im Zentrum der Hauptstadt eskalierte. Die Zahl der Toten variiert je nach Nachrichtenagentur – mindestens aber 20 Tote, über 300 Verletzte und unzählige Verhaftungen. Am Morgen des 26. Juni verkündete der Präsident, dass er das Gesetz in seiner aktuellen Form nicht unterschreiben werde. Die Regierung hat nun bis zum 23. Juli Zeit, die Finance Bill zu überarbeiten. Die Demonstrierenden haben angekündigt weiter zu protestieren, bis das Gesetz vollständig gekippt ist.
TikTok und die Generation Z
„Wir sind die Gen Zs, wir konnten uns selbst mobilisieren. Wir nutzen TikTok als Plattform, um junge Menschen nicht nur zum Protest zu bewegen, sondern sie auch über das Warum aufzuklären“, so die junge Demonstrantin Zaha Indimuli. Die Generation, die zwischen 1995 und 2010 geboren ist, ist aktiv und laut und lässt die Entscheidungen der Regierung nicht einfach über sich ergehen. Ihr Freund und Helfer: Die Sozialen Medien. Sie sind nicht nur für Spaß und Zeitvertreib zu haben, sondern ein wichtiges Medium der politischen Bildung, Vernetzung und Mobilisierung. Die kenianische Regierung ließ sogar zeitweise das Netz durch die Mobilfunktreiber abschalten. Etwa 80 Prozent der Kenianer*innen sind 35 Jahre alt oder jünger – sie sind die Zukunft Kenias und wollen diese demokratisch mitbestimmen.
Quellen:
- Tagesschau: Kenias Generation Z begehrt auf (Juni 2024)
- Tagesschau: Demonstranten stürmen Parlament in Kenia (Juni 2024)
- BBC: What are Kenya’s controversial tax proposals? (Juni 2024)
- BBC: New faces of protest – Kenya’s Gen Z anti-tax revolutionaries (Juni 2024)
- ZEIT: Erst rohe Gewalt lässt Präsident Ruto umdenken (Juni 2024)
- Konrad Adenauer Stiftung: Nairobi: Sturm auf das Parlament (Juni 2024)
- TAZ: Kenia legt Ostafrika lahm (Juni 2024)
- DW: Tote bei Protesten in Kenia: Lage am Parlament eskaliert (Juni 2024)
Verfasst am 27. Juni 2024