Was hat die Klimakrise mit Terrorismus zu tun?

Der Aufstieg terroristischer Gruppen hat viele Ursachen. Eine davon ist die Klimakrise. Sie verstärkt bereits bestehende Konfliktdynamiken bedeutend. Terroristen nutzen dies für sich, um Kämpfer zu rekrutieren.

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Was hat die Klimakrise mit Terrorismus zu tun?

Die Klimakrise trifft die Region um den Tschadsee besonders hart. Der Binnensee, den sich die Länder Nigeria, Niger, Kamerun und Tschad teilen, erstreckte sich einst über 25.000 Quadratkilometer. Heute sind von dem See weniger als 1.500 Quadratkilometer übrig. (1) Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen gehen 50 Prozent des Rückgangs der Tschadseefläche auf Klimaeffekte zurück. Die andere Hälfte wird durch die verstärkte Nutzung der Zuflüsse für landwirtschaftliche Bewässerung, dem erhöhten Wasserverbrauch der wachsenden Bevölkerung und Missmanagement verursacht. Immer wiederkehrende Dürren und Hitzewellen schädigen das Pflanzenwachstum zusätzlich und schwere Regengüsse zerstören die Ernten oder spülen sie von den Feldern. Auf über einem Drittel der Landfläche schreitet die Wüstenbildung voran. (2)

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Der Tschadsee verschwindet
(©flickr_www.grida.no/resources/5593)

Klimakatastrophe trifft auf instabile Region

Diese Klimakatastrophe trifft auf eine chronisch instabile Region. Jedes Jahr sterben Hunderte Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen ansässigen, in der Landwirtschaft tätigen, Personen und in die Region kommende Hirt*innen, die auf der Suche nach Land sind. (1) Staatliche Hilfe für die Menschen und die Region gibt es kaum. Die Regierungen haben über die sumpfigen Ufer und vielen Inseln des Tschadsee kaum Kontrolle. Ein ideales Rückzugsgebiet für Kriminelle und Islamisten. (3) So konnte sich die westafrikanische Terrormiliz Boko Haram im letzten Jahrzehnt immer weiter ausbreiten und an Stärke gewinnen. (2) Sie planen Angriffe auf das Militär und Überfälle auf Zivilist*innen. Mehr als 40.000 Menschen starben bereits in dem Krieg zwischen den Islamisten und Regierungstruppen. Zwei Millionen Menschen wurden vertrieben. (3)

“Der Klimawandel bedroht nicht nur die Nahrungsversorgung, sondern auch den Frieden.”

Hindou Oumarou Ibrahim – Klimaaktivistin (3)

Der Aufstieg der terroristischen Vereinigung von einer kleinen Gruppe radikaler Koranschüler zu einer der gefährlichsten Organisationen der Welt hängt mit verschiedenen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen in der Region um den Tschadsee zusammen. So haben politische Krisen, Misswirtschaft und Korruption die Legitimität von Regierungen und Institutionen untergraben, regionale Ungleichheiten, insbesondere zwischen den ölproduzierenden und anderen Regionen, führen zu politischen Missständen, und Armut und Mangel an angemessenen Dienstleistungen machen die wachsende Bevölkerung empfänglicher für politische Versprechungen von Dschihadistengruppen. (4) Zu all diesen Faktoren gesellen sich nun mehr und mehr die desaströsen Auswirkungen der Klimakrise.

Klimakrise, Ressourcenkonflikte und Terror beeinflussen sich gegenseitig

Diese verschärft die bereits bestehenden Konfliktdynamiken bedeutend. Denn knappe Ressourcen und daraus resultierende Arbeits- und Perspektivlosigkeit machen gerade junge Menschen anfälliger für die Ideologien der Terroristen. Die Islamisten nutzen Not und Armut aus, um Kämpfer zu rekrutieren. Sie locken mit Geld und Gewehren oder einem Motorrad für Botenfahrten. (1) (3)

_©Sani Ahmad Usman/ Wikimedia Commons
Die Menschen um den Tschadsee sind auf das Wasser angewiesen ©Sani Ahmad Usman/ Wikimedia Commons

In vielen Gegenden der Region können die Regierungen ihr Gewaltmonopol nicht ausüben. Und dort, wo der Staat sich durchzusetzen versucht, nimmt er teilweise wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. So blockieren Soldaten im Kampf gegen Terroristen Versorgungsrouten und schränken damit Handel und Mobilität ein. Der Zugang der lokalen Bevölkerung zu und die Kontrolle über lebenswichtige Ressourcen wird massiv beeinträchtigt, was den bestehenden wirtschaftlichen Druck in den Konfliktgebieten noch erhöht. Die daraus resultierenden Störungen der Fischerei, der kleinen Landwirtschaft, der Weidewirtschaft und des Handels verschärften den Wettbewerb um die lokalen Ressourcen und belasteten die sozialen Beziehungen zwischen den Gemeinschaften erheblich, was zuweilen das Risiko gewaltsamer Konflikte zwischen den Gemeinschaften erhöht. (4)

So entwickelt sich ein Teufelskreis: Um mit der Klimakrise leben zu können brauchen die Menschen mehr Bewegungsfreiheit, diese Bewegungsfreiheit wird im Kampf gegen Boko Haram stark eingeschränkt. Konflikte um Land und Ressourcen nehmen zu. In ihrer Not schließen sich manche den islamistischen oder kriminellen Banden an und der Aufstieg terroristischer Gruppen wird befördert. An Umweltschutz ist in dieser Unsicherheit gar nicht erst zu denken. (1) (3)

Was also tun?

Um diesen negativen Wirkungskreis zu durchbrechen, müssen bei der Konfliktverhütung Umwelt und Klima mitgedacht werden. Eine ganzheitliche Herangehensweise, in der alle Maßnahmen der humanitären Hilfe, Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit die Folgen der Klimakrise gezielt miteinbeziehen, kann eine wesentliche Grundlage für mehr Stabilität und nachhaltige Entwicklung in den von Konflikten betroffenen Regionen sein. (5) Wenn die Klimaeffekte weiter zunehmen und kein ganzheitlicher Ansatz in diesen Bereichen geschaffen wird, wird das Phänomen der Klimaflucht weltweit zu spüren sein. Und dann wird das Problem in den Ländern um den Tschadsee auch ein europäisches Problem. (4) (5)

„Menschliche Sicherheit ist mehr als Militär. Die größte Gefahr ist die Klimakrise für dieses und das nächste Jahrhundert.“

Annalena Baerbock, dt. Außenministerin/ Die Grünen (6)

Quellen

(1) Deutsche Welle: Tschadsee – Wie der Klimawandel den Terror befördert (Dezember 2015)
(2) Zeitschrift Vereinte Nationen: Klimawandel als Konflikttreiber in Nigeria (Oktober 2021)
(3) Tagesspiegel: 500 Dollar und eine Kalaschnikow – Wie Terroristen vom Klimawandel profitieren (Juni 2021)
(4) Climate Diplomacy: Climate and Fragility Risks – Lake Chad Region
(5) Naturschutz: Klimawandel erschwert den Kampf gegen Terrorismus in Afrika (Mai 2019)
(6) Tagesschau: Nato-Gipfel in Madrid (Juni 2022)

Verfasst am 15.8.2022