Viele der kenianischen Nationalparks und Wildreservate wurden während der Kolonialzeit auf Gebieten eingerichtet, die zuvor von indigenen Gemeinschaften bewohnt waren. Die indigene Bevölkerung wurde in Reservate und Gebiete mit geringer landwirtschaftlicher Produktivität verdrängt, was zu Landknappheit und Armut führte. Wenn Menschen ihre Nutzungsrechte verteidigten, haben die Kolonialherren sie als Wilderer*innen kriminalisiert. Nach der Unabhängigkeit Kenias im Jahr 1963 blieb ein beträchtlicher Teil des Landes in den Händen von reichen Eliten, Unternehmen und ausländischen Investoren. Vielerorts haben sie Naturschutzgebiete eingerichtet, um Tourismuseinnahmen zu erzielen. Die Gebiete halten sie bis heute mit Gewalt aufrecht, vergrößern sie durch weitere Vertreibungen und erschießen mutmaßliche Wilderer*innen. Es gibt auch soziale Formen von Gewalt, wie zum Beispiel Gespräche in Online-Chatrooms, die auf rassistische Gewalt gegen Wilderer*innen abzielen. Exklusiver Naturschutz Mit den Vertreibungen wird der Schutz von Wildtieren über die Rechte und Bedürfnisse indigener Gemeinschaften gestellt. Die traditionellen Landrechte der lokalen Bevölkerung finden keine Beachtung. Weil der traditionelle Naturschutz, wie er auch heute noch praktiziert wird, die lokale Bevölkerung ausschließt, spricht man von exklusivem Naturschutz. Nach dieser Auffassung ist die Trennung von Mensch und Natur die einzige Möglichkeit, die natürliche Vielfalt zu erhalten. Denn angeblich ist es neben der Wilderei die Anwesenheit der wachsenden afrikanischen Bevölkerung, die das Artensterben verursacht hat – eine Fehleinschätzung, wie sich weiter unten im Text zeigt. Eine koloniale Erzählung, die alles legitimiert Eine mögliche Erklärung dafür, warum traditionelle Schutzgebiete trotz der strukturellen Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung noch öffentlichen Zuspruch bekommen können, liefert der kenianische Ökologe Mordecai Ogada: “Naturschutzorganisationen geben Millionen dafür aus, ihre romantische Botschaft an die Leute zu bringen: die Geschichte von weißen Heilsbringern, die die Tierwelt in Afrika retten – und zwar vor den Afrikanern. Diese Erzählung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Und niemand hat sich bis jetzt eine andere einfallen lassen.”. Naturschützer*innen wird vorgeworfen, eine Erzählung aus der Kolonialzeit zu nähren, um die öffentliche Meinung zugunsten der exklusiven Naturschutzgebiete aufrechtzuerhalten und damit finanzielle Unterstützung von Organisationen, wohlhabenden Spender*innen und Tourist*innen aus der ganzen Welt zu sichern. Diese simple Erzählung beschreibt Folgendes: Es hat einmal riesige Populationen von wilden Tieren in Kenia gegeben. Durch “Überbevölkerung” und Wilderei geht diese Population jedoch ständig zurück, sodass die Art bald aussterben könnte. Dieses Narrativ impliziert nicht nur, dass Einheimische ihre Ressourcen nicht organisieren können, sondern auch, dass diejenigen, die es können, Externe sind, wie Entwicklungsexpert*innen und professionell ausgebildete Ressourcenmanager*innen. Dementsprechend seien die Einheimischen auf die Führung von Eliten angewiesen, seien es Expert*innen der eigenen Regierung, internationale Organisationen oder transnationale NGO’s. Widerspruch zu geschichtlichen Ereignissen Die geschichtlichee Betrachtung der Wildpopulationen widerspricht diesem Narrativ . Als die Siedlerbevölkerung im Laufe der Zeit zunahm, insbesondere durch die Siedlungspläne der ehemaligen Soldaten von 1919 und 1946, ist die Wildpopulation auf dem von Großbritannien verwalteten Gebiet “White Highlands” in Kenia praktisch verschwunden. Die Europäer*innen erlegten nicht nur frei Wild auf ihren Farmen, sondern jagten auch anderswo auf der Grundlage billiger Lizenzen. Im Gegensatz dazu war Afrikanern und Afrikanerinnen die Jagd verboten, außer während schwerer Hungersnöte, vorausgesetzt die Bezirkskommissare haben die Subsistenzjagd genehmigt. Daraus lässt sich schließen, dass die britischen Siedler*innen erheblich zur Dezimierung von Wildpopulationen beigetragen haben. Der Implikation, dass Einheimische ihre Ressourcen nicht alleine bewältigen können, widerspricht schon die Tatsache, dass es eine enorme Artenvielfaltvor dem Eintreffen der europäischen Siedler*innen gab. Damit wird der exklusive Naturschutz in Kenia mit Hilfe eines Narrativs voller rassistischer Vorurteile aufrechterhalten. Diese Vorstellungen ignorieren die Rolle des Kolonialismus und der wirtschaftlichen Ausbeutung in der Geschichte des Landes sowie die Tatsache, dass viele Umweltprobleme in Kenia durch westliche Unternehmen verursacht werden. Es zeigt sich, dass die Konkurrenz zwischen der indigenen Bevölkerung und der Natur eine verkürzte Erzählung ist, die den Interessen der Reservatbetreiber*innen dient und hinterfragt werden muss. Quellen Adams, W. M., & Hutton, J. (2007). People, Parks and Poverty: Political Ecology and Biodiversity Conservation. Conservation & Society, 5(2), 147-183. Hupke, K. (2019). Nature Conservation: A critical Introduction. Springer. Manji, A. (2012). The grabbed state: lawyers, politics and public land in Kenya. The Journal of Modern African Studies, 50(3), 467-492. Matheka, R. M. (2008). Decolonisation and Wildlife Conservation in Kenya, 1958–68. 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